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Werkstätten dicht – Sorge ums Danach

In der Stiftung Rehazentrum „Thüringer Wald“ werden 450 Menschen mit Behinderung betreut und gefördert. Auch hier ist in Zeiten von Corona alles anders. Freies Wort sprach mit Stiftungsvorstand Kai Michaelis über die Situation in der größten sozialen Einrichtung des Landkreises Hildburghausen.

Herr Michaelis wie wirkt sich die Corona-Krise konkret auf Ihre Einrichtung aus?

Die Corona-Krise hat enorme und sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Bereiche. Zum Einen galt ja auch für uns von heute auf morgen, den Kontakt zu beschränken und die Hygienebestimmungen einzuhalten. Wir haben getan, was machbar war. Die Büros sind nur mit einem Mitarbeiter besetzt, wer kann, erledigt Arbeit im Homeoffice. Zum anderen muss der sonst gewohnte Tagesablauf völlig neu strukturiert werden. Die berufliche Ausbildung und die Lindenschule sind geschlossen. Ebenso die Werkstätten. Wir versuchen wo es geht, über Mailverkehr, Telefon, Internet den Kontakt zu den Jugendlichen beziehungsweise zu den Eltern der Lindenschüler und den Beschäftigten in den Werkstätten zu halten. Aber auch da sind für Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung Grenzen gesetzt. Es ist eine sehr schwierige Situation, auch für unsere Mitarbeiter.

Wie verkraften das die Menschen, die zum Beispiel in den Werkstätten in Oberrod normalerweise Gewürze verpacken, Holzbänke und Spielzeug fertigen?

Es ist natürlich für sie schwer zu verstehen, warum sie nicht mehr arbeiten dürfen. Sie wollen ja arbeiten und fragen ständig, wann sie das wieder können. Sie suchen menschliche Nähe, sollen aber Abstand halten und die hygienischen Forderungen einhalten und Mundschutz tragen. Aber das ist auch ein großes Problem. Wir sind ja gar nicht mit Schutzkleidung ausgestattet. Wenigstens haben wir noch eine Wäschepflegerin, die einfachen Mundschutz nähen kann.

Wie verbringen die „arbeitslosen“ behinderten Menschen aber dann den Tag?

Sie werden jetzt statt sonst am Nachmittag und an den Wochenenden den ganzen Tag in den Wohnheimen betreut und beschäftigt. Sie gehen natürlich auch in kleinen Gruppen hinaus ins Freie, wie es Familien ja auch tun dürfen. Die Situation in den Wohnheimen Sonnenblume, Eichenhof, Kleeblatt, Haus an der Nahe und Bienenkorb ist bisher noch sehr ruhig und geordnet. Alle wünschen sich natürlich den gewohnten Tagesablauf zurück. Alle Mitarbeiter bemühen sich, einen interessanten und abwechslungsreichen Tagesablauf zu gestalten. Die Bewohner sollen ja auch etwas über Hygiene lernen und wie man sich unter diesen Umständen zum Beispiel beim Einkaufen bewegt.

Wie gehen die Sozialarbeiter und Mitarbeiter mit der Situation um?

Ich ziehe den Hut vor jedem unserer Mitarbeiter. Sie leisten in dieser Zeit Außergewöhnliches im Dienste der uns anvertrauten Menschen, aber das ganz im Stillen ohne Medienpräsenz. Ihr Einsatz kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Allerdings mussten wir von unseren 260 Mitarbeitern rund 100 in unterschiedlichem Maße in Kurzarbeit schicken. Es ist für alle eine große Belastung.

 

Viele Schleusinger bedauern, dass auch die Gärtnerei geschlossen ist.

Ja hier geht vieles kaputt, weil es nicht gepflegt werden kann. Aber das ist ja nicht das einzige Problem. Auch in den anderen Bereichen wie eben in Oberrod ist Zwangspause. Wenn aber jetzt nicht gearbeitet und zugeliefert werden kann, ist zu befürchten, dass uns nach der Krise Aufträge wegbrechen. Das ist der wirtschaftliche Aspekt für unsere Einrichtung. Die andere Seite ist die, dass die Beschäftigten in den Werkstätten ein geringes Geld verdienen. Wir haben in den Werkstätten ja ein Arbeitgebernehmer-ähnliches Verhältnis. Sie hätten jetzt sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Aber was ist dann? Es sind viele Dinge nicht geklärt. Da hat die Politik dringend Handlungsbedarf. Auch der soziale Kontakt ist für viele sehr wichtig. Es kann zu Vereinsamung mit allen daraus resultierenden Folgen führen, wenn man nicht arbeiten gehen kann. Es muss also dringend auch ein Konzept her, wie man die Menschen auch bei der Arbeit gut schützen kann, sonst sind die Folgeschäden für viele gravierend.

Es gibt auch Bautätigkeit auf dem Gelände?

Ja, wir bauen gerade im Eingangsbereich neue Türen ein. Auch das Internat für die Jugendlichen in der beruflichen Ausbildung, das noch DDR-Standard hatte, ist modernisiert worden. Leider steht es jetzt leer.

Das Wie-weiter-danach beschäftigt viele Menschen in Betrieben und Einrichtungen. Was macht Ihnen Kopfzerbrechen?

Ich befürchte, wir werden nicht unbeschadet aus der Krise hervorgehen und nachhaltig daran zu knabbern haben. Ich finde, die Arbeit ist recht ungerecht verteilt und die Ungerechtigkeiten werden größer werden. Aber die Werte werden nicht durch die großen Konzerne und die Banken geschaffen, sondern von den Menschen die täglich arbeiten. Die haben Dank, Respekt und Anerkennung verdient. Vielleicht hat die Krise auch ihre guten Seiten und wir lernen daraus. Von allem etwas weniger, Respekt vor hart arbeitenden, oft schlecht bezahlten Menschen, etwas mehr Menschlichkeit, etwas weniger Globalisierung, aber weltoffenes Denken und Zufriedenheit.

Interview: Karin Schlütter